Endlich wieder Krieg spielen

’S ist leider Krieg – das ist auch daran zum merken, dass die Gefühle angesichts der mörderischen Szenerie peu á peu vom schaudernden Entsetzen zum wohligen Grusical mutieren. Was eben noch Angst verbreitete („the German Angst“!), wird flugs in die Unterhaltungsindustrie integriert. Wo soll die Wehrkraft schließlich herkommen?

Da schwimmt also ein Schlauchboot im Wasser, ein Gummitier, eine Spaßinsel. Doch bei näherem Hinsehen, bei dem einem das Sehen vergehen möchte, entpuppt sich dieses Tier als Leibhaftiger, nämlich als Panzer! Dass hier einer mit Entsetzen Scherz treibt, ist noch eine gelinde Interpretation dieser gespenstischen Inszenierung.

Es ist ja nur ein Panzer, möchte da einer rufen. Und der Panzer hat doch längst seinen Schrecken verloren, zumal er auf Deutschlands Autobahnen (die einst für die Panzer erfunden wurden) in Gestalt des SUV’s zum gewohnten Bild gehört. Es fehlt beim SUV nur das Rohr. Aber wozu schießen, wenn man auch ohne Tempolimit überholend jeden Mittelklassewagen auf der Strecke lassen kann?

Und das Rohr, das unser schwimmender Panzer, jenes Ingenium aquanautischer Industrialität, fürwahr aufzuweisen hat, es schießt ja auch nicht. Es spritzt nur. Und damit macht es, immerhin, das Rohr, darauf aufmerksam, dass es eben doch in erster Linie ein Penisersatz ist. Denn der Penisneid — hier irrte Freud — ist ja in erster Linie etwas, was Jungs empfinden, die jedem Nebenmann am Pissoir deren Gemächt neiden. Der Panzer ist also eine Genugtuung für Jungs, die sich vom eigenen Geschlecht überfordert fühlen. Und wer tut das nicht? Im stählernen Kampfkoloss aus Hypalon-Neopren ist der Mann wieder Mann und kann seinen Platz an der Sonne im Badeparadies erobern.

Natürlich, neu ist das nicht. Man lese nach bei Karl Kraus:

Der Optimist: Das Soldatenspiel der Kinder empfängt jetzt im Gegenteil neue Anregungen. Kennen Sie das Spiel »Wir spielen Weltkrieg«?

Der Nörgler: Es ist die ebenso gemeine Kehrseite des Ernstes: Wir spielen Kinderstube. Dieser Menschheit wäre zu wünschen, daß ihre Säuglinge mit Erfolg anfangen, einander auszuhungern oder mit Bomben zu belegen, jedenfalls den Ammen die Kundschaft abzutreiben.

(„Die letzten Tage der Menschheit“)

Der Dichter übertrieb natürlich? Mitnichten, er untertrieb. Bildpostkarten aus dem 1. Weltkrieg zeigen uniformierte Kinder mit Spielzeuggeschützen Schlachten nachstellen, betitelt „Unsere Kinder in großer Zeit“. Und „Wir spielen Weltkrieg!“ hieß „ein zeitgemäßes Bilderbuch für unsere Kleinen“, das, wen wundert’s, vom Kriegshilfsbüro des Innenministeriums herausgegeben wurde. Darin wird, pädagogisch wertvoll, Kindern beiläufig beigebracht, wie man „Russen und Franzos’“ aus dem Hinterhalt in den Rücken schießt. Auch Gesellschaftsspiele wie „Mensch ärgere dich nicht“, 1910 überhaupt erst erfunden, wurde in den Kriegsdienst gestellt. In „Wer wird siegen?“ umbenannt und mit den Porträts des österreichischen Kaisers Franz Joseph I. und seines Nachfolgers, Karl I., versehen, wurde es als niedliches „Kriegsspiel“ vertrieben. Derweil hat der „Matador“-Baukasten als „Kanonenbaukasten“ in unterschiedlichen Ausprägungen für alle Preisklassen den Markt im Sturmlauf erobert. Der Mainzer Spieleverlag Josef Scholz hat „Feuernde Mörserbatterie“ ins Feld geführt: Das „zeitgemäße Gesellschaftsspiel für Jung und Alt“ war, wie der „Standard“ schreibt, „eine Feierstunde der Artillerie“. Zum Totlachen!

Zurück zum Badesee. Der liegt in der Nordeifel, eine liebliche Gegend. Aber sie war auch Schauplatz einer der fürchterlichsten Schlachten des 2. Weltkriegs. 60.000 Opfer hat die berüchtigte „Schlacht im Hürtgenwald“ gekostet. Panzer und Artillerie haben ganze Dörfer dem Erdboden gleichgemacht, die Hinterlassenschaften dieses Krieges in Form von Bunkern und Soldatenfriedhöfen prägen noch heute die Landschaft. Jetzt darf also wieder aufmarschiert werden. Die Panzer rollen zwar noch nicht, aber sie schwimmen immerhin schon. „’S ist leider Krieg – und ich begehre,/
Nicht schuld daran zu sein!“


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