„Und sie bewegt sich doch“, soll der Legende nach der italienische Gelehrte Galileo Galilei nach dem Verlassen des Inquisitionsgerichts gesagt haben. Am vorläufigen Ende des Zeitalters, das mit Galileis astronomischen Entdeckungen begann, leben wir in der Tat in einer aufs Äußerste beweglichen Welt, haben Verkehrsmittel, die uns in Tagesfrist um den Globus tragen, ein Wirtschaftssystem, das keine Grenzen mehr kennt, und selbst ein Freizeitverhalten, das überwiegend ortlos geworden ist. Heimat und Zuhause sind für viele Menschen heute zur Metapher geworden, während Mobilität die eigentlich prägende Daseinsform geworden ist. Man spricht denglish, hat eine Bahncard und ist im Meilenprogramm einer großen Airline.
So universell, wie der Mobilitätsbegriff ist, so differenziert wird er heute im Journalismus behandelt. Es gibt praktisch kein journalistisches Ressort bei Tageszeitungen oder Rundfunkanstalten, das heute nicht den Blick über den Tellerrand wagt und mit seiner Agenda, seinen Themen und seinen Thesen an der Globalisierung und globaler Mobilität vorbeikommt. Selbst die (großstädtischen) Lokalteile der Zeitungen würden ihren Job verfehlen, wenn sie sich nicht auch den anderssprachigen und multikulturellen Ethnien ihrer Berichtsgebiete Stimme und Aufmerksamkeit gäben: aus der Globalisierung wird dann die Glokalisierung. Und doch gibt es zwei Ressorts, die mal getrennt, mal auch gemeinsam auftreten und die sich in besonderer Weise auf die Themen der mobilen Gesellschaft spezialisiert haben: der Reise- und der Motorjournalismus. Wenn sie an dieser Stelle gemeinschaftlich abgehandelt werden sollen, dann auch deswegen, weil die Gemeinsamkeiten dieser Ressorts sowohl positiv in den Sujets und Arbeitsweisen wie negativ in berechtigten Vorwürfen und teilweise moralinhaltigen Anwürfen schwerer wiegen als das Trennende, auf das an geeigneter Stelle hingewiesen werden soll. Dass dies keine künstliche Zusammenveranlagung ist, wird dort ersichtlich, wo Motor und Reise tatsächlich gemeinsame Redaktionen oder gemeinsame Sendeplätze belegen. So hat die ARD ihre erfolgreichen Verbraucherformate ARD Ratgeber Reise und ARD Ratgeber Auto +Verkehr im Sommer 2012 zu einer gemeinsamen Sendung ARD Ratgeber Autor – Reise– Verkehr zusammengelegt. Ähnlich ist zuvor schon der Westdeutsche Rundfunk mit der Sendung Servicezeit: mobil verfahren, einem Zwitter aus den vormaligen Sendungen Servicezeit: Reisen und Servicezeit: Verkehr. Auch praktisch keines der gängigen Motorzeitschriften, ob ADAC Motorwelt oder Auto Bild, ob Easyriders oder Motor classic, kommt ohne Reiseseiten aus. Titel wie Caravaning oder Reisemobil international tragen das Zwitterhafte bereits im Namen. Was nutzen schließlich alle Ausflüge in die Welt der Pferdestärken und der Ansaugstutzen, der Kraftstoffspritzen und der Kardanwellen, wenn man nicht zugleich erfährt, wohin mit den Traumgefährten die Reise gehen könnte? Man könnte von den beiden Ressorts zusammenfassend als Mobilitätsjournalismus sprechen.
Der Band Motor/Reise aus der Journalismus Bibliothek stellt zwei journalistische Bereiche vor, die als Fach- und Special-Interest-Journalismus auch stark von wirtschaftlichen Interessen geprägt sind. Neben der Entstehungsgeschichte beider Ressorts, die im Fall des Reisejournalismus auf eine bis in die Antike zurückreichende Historie blicken kann, werden die zahlreichen Beziehungen zum Ratgeber- und Nutzwertjournalismus (Band 11) erläutert. Auch die für alle Bereiche neuartigen Angebote, die sich im Internet herausbilden, werden beispielhaft vorgestellt und auf ihren journalistischen Gehalt abgeklopft. Besonderes Augenmerk liegt zudem auf ethischen Fragen im Reise- und Motorjournalismus, sowie auf der Fotografie in beiden Bereichen. Zahlreiche Beispiele zeigen, wie ein Mobilitätsjournalismus gelingen kann, der selbstbewusst mit den vielfältigen Anforderungen von Herstellern, Anbietern und Werbekunden umgeht.
Hektor Haarkötter/Evelyn Runge:
Motor/Reise. Basiswissen für die Medienpraxis.
Köln (Herbert von Halem-Verlag), 2016
264 S., 18,50€