Das Hochschul-System ist so schlecht, wie die Leute, die es leiten

Scheinbar verfasst die Rektorin der Düsseldorfer Universität einen Aufruf zu Pluralität des deutschen Hochschulwesens. Doch in Wahrheit geht es ihr in ihrem FAZ-Artikel (20.08.2025) nur um eins: Ihre eigenen universitären Pfründe zu sichern — und zwar auf Kosten der Hochschulen für Angewandte Wissenschaften. Das ist peinlich, es ist aber auch infam.

Was für eine intellektuelle Fehlleistung! Unter der Überschrift „Das System lebt von seinen Unterschieden“ schreibt Prof. Dr. Anja Steinbeck in der FAZ vom 20.08.2025 einen Besinnungsaufsatz, der eher besinnungslos daher kommt. Er soll vor allem die angeblichen Leistungen der bundesdeutschen Universitäten herausstellen, für deren Mitgliedergruppe sie in der Hochschulrektorenkonferenz spricht. Sie hat auch einen erklärten Feind: Die Hochschulen für angewandte Wissenschaften, formerly known as Fachhochschulen. Das Niveau dieses Artikels macht fast schmunzeln: Aufsatzschreiben war vermutlich eher nicht das Lieblings-Schulfach von Frau Steinbeck, jede KI hätte besser argumentiert. Ärgerlich sind die sachlichen Fehler, die unausgegorenen Einseitigkeiten und die empirisch nicht belegbaren Behauptungen dieser ihrer schriftstellerischen Tat. Im Einzelnen:

Steinbeck schreibt: „Universitäten setzen auf forschungsorientierte und theoretisch fundierte Studiengänge“. Gleichzeitig verweist sie darauf, dass Fächer wie Jura oder die Lehramtsfächer ausschließlich an Universitäten studiert werden könnten. Gerade diese Fachrichtungen sind allerdings gerade eher wenig forschungsorientiert oder theoretisch sonderlich fundiert. Und was die Lehramtsstudiengänge angeht: Die mussten die Unis nach der Abschaffung der Pädagogischen Hochschulen in den meisten Bundesländern eher unfreiwillig übernehmen, und nie haben sie es gerne getan. Von der Lustlosigkeit an der Lehrerausbildung bei den Uni-Profs kann fast jeder heutige Lehrer und jede Lehrerin ein Liedchen singen. So richtig drin ist selbst die Sprecherin der Mitgliedergruppe der Unis an der Hochschulrektorenkonferenz nicht im Thema: Beispielsweise in Baden-Württemberg findet die Lehrerausbildung für die meisten Schulformen nicht an den Universitäten statt. Wie sehr sich die Rektorin der Universität Düsseldorf für die Lehramtsstudiengänge interessiert, ist damit dokumentiert.

Steinbeck schreibt völlig richtig: „Lehre, Forschung und Transfer bilden gemäß den Landeshochschulgesetzen den Kernauftrag aller Hochschulen“. Dann fügt sie aber, um die unfassbar herausragende Rolle der Universitäten so herauszustellen, dass es fast wie eine Karikatur daherkommt, an: „Akademische Bildung ist der größte Transferbeitrag der Universitäten für den Fortschritt unseres Landes“. Also, Lehre und Transfer sind gar nicht zwei verschiedene Aufgaben der Hochschulen? Die Lehre, also die „akademische Bildung“, ist nämlich der „Transferbeitrag der Universitäten“? Daraus kann man zwei Schlüsse ziehen: Frau Steinbeck weiß gar nicht, was Wissenschaftstransfer eigentlich bedeutet, oder die Universitäten haben im Bereich Transfer praktisch gar nichts zu bieten. Beide Alternativen sind eher trostlos.

Sehr stolz klopft Frau Steinbeck sich und ihren Universitäten auf die Schulterklappen, wenn es um Nobelpreise geht: „Zwei Drittel der Nobelpreisträger aus Deutschland sind oder waren an deutschen Universitäten tätig. Rund zwei Drittel der wissenschaftlichen Publikationen stammen von dort“. Das kann man natürlich so sehen. Indes hat der berühmteste deutsche Nobelpreisträger, Albert Einstein (der seit 1901 einen Schweizer Pass hatte, um nicht zum Wehrdienst zu müssen), nicht an einer deutschen Universität studiert, sondern am Eidgenössischen Polytechnikum in Zürich. Das war eine Ingenieurshochschule, also ein Vorläufer der Fachhochschulen, der heutigen HAWen. Und die größte Gruppe deutscher Nobelpreisträger stammt von einer einzigen Universität und aus einem einzigen Fach: der theoretischen Physik an der Uni Göttingen. Das war allerdings nicht zur Amtszeit von Frau Steinbeck, sondern vor allem in den 1920er-Jahren. Ein anderer nicht minder berühmter deutscher Nobelpreisträger hat gar studiert: Es war Thomas Mann, der nicht einmal Abitur hatte. Die meisten Nobelpreise weltweit heimsen übrigens die USA ein, nämlich Faktor 3,7 mehr als deutsche Wissenschaftlerinnen: Eine Bildungsnation mithin, die weder den Unterschied von Universitäten und Hochschulen für angewandte Wissenschaften kennt, noch die Habilitation als privilegierte Zugangsvoraussetzung für eine Uni-Professur.

Auch was das Einwerben von Forschungsmitteln, sprich: Geld, angeht, sieht Frau Steinbeck die deutschen Unis an der einsamen Spitze: Sie werben nämlich „90 Prozent der Mittel der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und den Großteil der Forschungsförderung des Bundes“ ein. Was die Rektorin als Leistung interpretiert, ist in Wahrheit das Problem: Die HAWen werden hier nämlich krass benachteiligt. Sie haben weder die Ressourcen, noch die personellen Möglichkeiten, sich an dem Ausschreibungszirkus dauerhaft zu beteiligen, weil die Antragsmodalitäten oft byzantinische Text- und Formularkaskaden in Romanlänge verlangen, für die die Unis eigens Mitarbeiter:innen abstellen können, während die HAWen gerade mit Wissenschaftlichen-Mitarbeiter-Stellen so unterversorgt sind, dass die Beteiligung an diesem Run auf Forschungsgelder von den HAW-Professor:innen häufig alleine, in der Freizeit nachts oder am Wochenende erfolgen muss. Sehr sportlich ist das nicht.

Was die von Frau Steinbeck apostrophierte „Spitzenstellung“ der deutschen Universitäten angeht: Im QS World University Ranking 2025 sind gerade mal fünf deutsche Universitäten unter den Top 100. Die bestplatzierte deutsche Uni ist die TU München, und die ist eben so auf Platz 28. Die nächstplatzierte ist die LMU, ebenfalls in München, auf Platz 59. Die beste deutsche Uni im Academic Ranking of World Universities (Shanghai-Ranking) ist die Uni Bonn — auf Platz 68!

Sehen wir uns auf der anderen Seite (da Frau Steinbeck im Grundkurs Aufsatzschreiben vielleicht nicht so ganz aufmerksam war und nicht mitbekommen hat, dass man immer beide Seiten der Münze betrachten soll — dabei sind ihr Münzen doch so wichtig!) an, welche spezifischen Leistungen die HAWen erbringen:

  • Knapp 40% der Studierenden in Deutschland studieren heute an HAWen, und das, obwohl (wie auch Frau Steinbeck schreibt) viele große Fächer wie Jura, Medizin oder die Lehrämter an den HAWen gar nicht studiert werden können.
  • Uni-Professor:innen haben häufig in ihrem ganzen Leben lang nichts anderes von innen gesehen als Bildungseinrichtungen. HAW-Profs müssen für ihre Stellen 3-5 Jahre außerhalb des Hochschulsystems in dem Bereich gearbeitet haben, den sie auch unterrichten. Auf gut deutsch: HAW-Professor:innen verstehen etwas von dem, was sie lehren, sie haben „street credibility“. Das gilt bestimmt auch für manche Uni-Profs (z.B. für Mediziner:innen), aber längst nicht für alle. Jeder, der selbst an einer deutschen Uni studiert hat, weiß, wovon ich rede.
  • Forschungsstarke HAWen können, was das Akquirieren von Forschungsetats angeht, mit kleineren und mittleren Universitäten locker mithalten: Die TH Köln, die Hochschule Aalen oder die HAW Hamburg konnten zwischen 15 und 20 Mio. Euro an Forschungsmitteln einwerben, das schaffen nicht alle Universitäten. Hierbei muss man noch veranschlagen, dass manche Forschungsdisziplinen an Universitäten Großgeräteforschung betreiben, bei denen nicht nur das Forschungsgebiet, sondern auch die benötigten Gelder astronomisch sind. Die Qualität von Forschung lässt sich auch nicht nur in Geld messen. Der berühmte Soziologe Niklas Luhmann beschrieb sein eigenes Forschungsprojekt mit den Worten: „Dauer: 30 Jahre. Kosten: Keine“.
  • Die Studierendenschaft an HAWen ist deutlich heterogener als an deutschen Universitäten: 34% der Studierenden an HAWen sind die ersten in ihrer Familie mit Abitur, 20% haben Migrationshintergrund. Ein bedeutender Anteil der Studierenden an HAWen bringt heterogene Lebenssituationen mit, wie die Betreuung von Kindern, Pflegeaufgaben oder Erwerbstätigkeit während des Studiums. Die soziale Durchlässigkeit und das Bildungsversprechen der Bundesrepublik Deutschland wird damit ziemlich einseitig von den HAWen erfüllt, während die Universitäten in diesem Punkt leider so exklusiv wie excludent sind. Der anmaßende Ton der Sprecherin der Uni-Gruppe in der Hochschulrektorenkonferenz spricht hier Bände.
  • Die Absolvent:innen der HAWen sind auf dem Arbeitsmarkt deutlich beliebter: 94% von ihnen finden unmittelbar nach dem Studium eine Stelle, und sie bekommen auch höhere Einstiegsgehälter als Uni-Absolvent:innen. Arbeitgeber schätzen insbesondere die Praxisnähe und den höheren Anwendungsbezug.
  • Es ist längst auch verfassungsrechtlich anerkannt, dass die HAW-Professor:innen ebenso Träger der Wissenschaftsfreiheit sind wie die Uni-Kolleg:innen. Sie haben die gleichen Aufgaben in der Hochschulselbstverwaltung, sie vergeben die gleichen akademischen Abschlüsse mit der gleichen Prüfungslast, am besten auch noch forschen und publizieren. Während aber Uni-Profs 9 Stunden in der Semesterwoche unterrichten sollen, stehen bei den HAW-Profs 18 Stunden auf dem Programm – bei wesentlich schlechterer personeller und finanzieller Ausstattung.

Frau Steinbeck möchte nicht die akademische Ausbildung in Deutschland verbessern, sie möchte auch nicht Chancengleichheit unter den verschiedenen Hochschultypen und einen fairen Wettbewerb. Was sie möchte, und das sagt sie überdeutlich in ihrem Artikel, ist, den ungerechten Wettbewerbsvorteil der Universitäten gegenüber den Hochschulen für angewandte Wissenschaften zementieren, der einzig auf ihrem vorgestrigen Bild der Hochschullandschaft basiert, wonach die HAWen etwas bessere Berufsschulen sind, die jene Gas-Wasser-Scheiße-Ingenieure ausbilden können, die bei ihr zuhause das Klo reparieren dürfen.

Der Rektorin der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf ist zu empfehlen, mal nachzulesen, was ihr Namensgeber Heinrich Heine über eine Universitätsstadt in seiner „Harzreise“ geschrieben hat. Die Bewohner teilten sich dort ein in Studenten, Professoren, Philister und Vieh: „Der Viehstand ist der bedeutendste“.


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