Heute feiert Keith Jarrett, über den ja gerade wieder viel geschrieben wird, 80. Geburtstag. Ich kann nur herzlich gratulieren. Tatsächlich hat er auch auf mich als Musikhörer und als Pianist großen Einfluss gehabt.
Sein legendäres Album „The Köln Concert“, ein Konzertmitschnitt aus der Oper der Rheinmetropole 1975, feiert gerade ebenfalls Jubiläum, nämlich das 50. Und ein entsprechender Kinofilm („Köln 75“) ist wirklich amüsant und sehenswert, wenn auch mit den überprüfbaren Fakten in diesem Film offenbar recht „frei“ umgegangen wird und das Kino hier, wie so oft, eher zur weiteren Mythenbildung beiträgt.
Ich bekam die CD „The Köln Concert“ 1989 von Freunden geschenkt, die „mit improvisierter Solo-Jazzmusik nichts anfangen“ konnten. Mein Problem: Ich hatte noch gar keinen CD-Player und hing noch voll in der Vinylwelt. Ich war gerade erst aus Italien zurückkommen, wo ich Musik sogar nur auf Musikkassette gehört habe. Also kaufte ich mir einen sehr günstigen CD-Player (ich war Student!) und hatte so eine Art „Stunde Null“-Erlebnis. Der CD-Player hatte übrigens einen eingebauten Looper, man konnte also beliebige Anfangs- und Endpunkte definieren und sich diese Musikstellen immer wieder anhören: Für einen Jazzmusiker wie mich, der sich viele Stücke aus Alben „heraushören“ musste, ein unschätzbarer Vorteil – ich habe nie mehr ein solches Gerät gefunden.
Der Flügel, auf dem Jarrett sein Konzert in Köln spielte, war wohl alles andere als ein Stutzflügel, sondern ein veritabler Bösendorfer mit 2,25 Meter Länge. Vertraglich vereinbart war aber angeblich ein Bösendorfer Imperial, der noch beachtlichere 2,90 Meter Länge hat. An dem Instrument, auf dem Jarrett in der Kölner Oper spielte, klemmten auch weder Tasten, noch Pedale. Nach überzeugender Aussage von Klavierbauern hätte ein Klavier, das in solch schlechtem Zustand gewesen wäre, sich niemals in so kurzer Zeit reparieren lassen. Der Musikjournalist Michael Rüsenberg hat viele Fakten und Interpretationen zu den Mythen rund um das Köln Concert zusammengetragen (Link unten).
Ich bin auch immer wieder irritiert über dieses gebetsmühlenhafte Wiederholen des Mantras, dieses Album sei das „meistverkaufte Jazzklavier-Soloalbum“ aller Zeiten. Mal davon abgesehen, dass solche exakten Verkaufszahlen nur äußerst schwer zu recherchieren und häufig nur Marketing der Plattenfirmen sind: Welches andere Jazzpiano-Soloalbum stünde hier denn eigentlich in Konkurrenz? Solo-Alben im Jazz sind in aller Regel reine Spezialistenkost, die vermutlich allesamt äußerst niedrige Verkaufszahlen gehabt haben dürften. Es gibt solche Aufnahmen von Chick Corea und von Hancock, zu erwähnen wäre natürlich auch die phantastische Scheibe „Conversations with myself“ von Bill Evans (der Pianist begleitet sich selbst auf zwei Klavieren!). Und es gibt natürlich all die anderen Solo-Alben von Keith Jarrett, mit denen er eigentlich sich nur selbst Konkurrenz macht, auch wenn diese Scheiben von sehr wechselhafter Qualität und Eingängigkeit sind. Und ohnehin gibt es Jazzsoloalben ausschließlich von Pianisten, denn wer würde sich schon ein Saxofonsoloalbum anhören (Ausnahme: Pat Metheny, aber auch dessen Soloalben an der Gitarre sind Spezialistenkost)?! Kurzum: Das „Köln Concert“ ist vermutlich das einzige Jazzsoloalbum, das einem breiteren Publikum bekannt geworden ist. Die meistverkaufte Jazzplatte überhaupt ist es indes nicht, das soll immer noch Miles Davis‘ „Kind of Blue“ sein.
Auch in der Rezeption war und ist das „Köln Concert“ mitnichten unumstritten. Die Verdikte gegen dieses Album, das angeblich dem Pianisten selbst nicht gefallen hat, gehen hin bis zu jenem Ausbruch des deutschen Jazz-„Papsts“ Joachim Ernst Berendt, der diese Scheibe als eine Ausprägung eines „neuen Faschismus in Jazz und Rock“ identifizierte.
Auch dass das Köln Concert rein improvisierte Musik sei, kann man in Frage stellen. Zumindest den vierten und letzten Teil des Albums hat Keith Jarrett nämlich selbst schon vorher notiert und über dieses Thema dann improvisiert (aber eben nicht „frei“ improvisiert). Das Stück ist unter dem Titel „Memories of tomorrow“ sogar in das ebenso legendäre „Real Book“ eingegangen (dessen Geschichte auch irgendwann mal ausführlich erzählt werden müsste).
Sei’s drum, ich liebe diese Scheibe, und ich liebe auch fast alle Trio-Standard-Aufnahmen von Keith Jarrett (am besten: „Keith Jarrett At The Blue Note“ – 6 CD’s!). Von den frühen Aufnahmen sind auch „Belonging“ und viele andere Aufnahmen seines „europäischen Quartetts“ heute Klassiker. Also, happy birthday, Keith!
Michael Rüsenberg: Der 225er Bösendorfer Nr. 28.952 am 24. Januar 1975 in Köln
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