Jürgen Habermas: Kein Loblied

Nun war also Habermas‘ Geburtstag, und auch ich möchte gratulieren. Ich habe viel Habermas gelesen, oft zum Vergnügen, manchmal im Kampf, später bemerkte ich den Krampf. Heute rate ich meinen Studierenden eher ab, Habermas zu lesen. Nun sind zum Geburtstag Elogen und Lobeshymnen erklungen, indes ist der gute Mann ja noch gar nicht tot (und lange möge er noch leben!). Man darf also durchaus auch Kritisches anmerken, und da fällt mir doch einiges ein:
Habermas wird immer wieder als Philosoph bezeichnet. Ich habe in ihm immer den Soziologen gesehen (und nicht stets den besten). Seine philosophischen Wurzeln sind die der Frankfurter Schule, und die bezieht sich vor allem auf Hegels Idealismus (auch wenn sie zur Tarnung den Marx im Munde führt), auf Nietzsche und auf Freud: Allesamt Großdenker der Bourgeoisie, sicherlich aber keine Intellektuellen der Emanzipation und der Aufklärung. Entsprechend sahen auch das Gesellschaftsbild und vor allem der Kulturbegriff vor allem bei Adorno und Horkheimer aus: Für wildgewordene großbürgerliche Studierende in den 1960er-Jahren ein schmackhaftes Futter, für die Arbeiterklasse aber ungenießbar und vor allem ihrer Wohlfahrt keineswegs förderlich.

Streit und Verständlichkeit

Der sogenannte Positivismusstreit der Sozialwissenschaften (der vor allem eine Auseinandersetzung der Soziologie mit der ins Exil gezwungenen analytischen Philosophie war) beruhte vor allem auf Missverständnissen, wenn auch vielleicht absichtsvollen. Geschickt hat man verstanden (vor allem Adorno und Habermas), sich selbst ins positive Licht der Aufklärung und die „Positivisten“ ins negative Licht wissenschaftlicher Kleinbürgerlichkeit und Spießigkeit zu stellen. Dabei waren viele der frühen Denker der modernen Sprachphilosophie nicht nur Juden (wie Horkheimer und Adorno), sondern auch überzeugte Linke und Sozialisten. Otto Neurath, einer der Vordenker des „Wiener Kreises“, promovierte 1917 über die Kriegswirtschaft, die als Vorbild für die sozialistische Planwirtschaft galt. Hier muss allerdings angemerkt werden, dass auch die Gegenseite, vor allem Karl Popper, mit starkem Kaliber zurückgeschossen hat. In seinem Offenen Brief „Über die großen Worte“ etwa bietet Popper eine Verständlichkeitsprüfung Habermas’scher Texte in 1:1-Übersetzung, die in ihrer Boshaftigkeit vergnüglich ist. Kleines Beispiel:

O-Ton Habermas: „Die gesellschaftliche Totalität führt kein Eigenleben oberhalb des von ihr Zusammengefaßten, aus dem sie selbst besteht. Sie produziert und reproduziert sich durch ihre einzelnen Momente hindurch“.

Übersetzung Popper: „Die Gesellschaft besteht aus den gesellschaftlichen Beziehungen. Die verschiedenen Beziehungen produzieren irgendwie die Gesellschaft“.

(K. Popper: Auf der Suche nach einer besseren Welt. München 1984, S.110)

Das Lektüreerlebnis von Habermas-Leserinnen und -Lesern könnte dabei selbst auf einem Missverständnis beruhen, dem nämlich, dass der Frankfurter Schüler gar nicht schwerverständlich, sondern in Wahrheit schlicht unverständlich ist. „Was man überhaupt sagen kann, kann man klar sagen“, erklärte der Sprachphilosoph Ludwig Wittgenstein, doch das war Habermas‘ Sache nicht. Und Popper, auch hier kritisch bis zur Bosheit, diagnostizierte bei Habermas das „grausame Spiel, Einfaches kompliziert und Triviales schwierig auszudrücken“ (ebda.).

Linguistische Wende?

Der „linguistic turn“, den Habermas dann ab den 1970er-Jahren vollführt haben soll, war in Wahrheit eigentlich eine Rücknahme und Aufgabe der eigenen Position und damit auch ein Schlussstrich unter den theoretischen Background der Frankfurter Schule. Vielmehr schloss sich Habermas nun einiger sprachphilosophischer Einsichten der analytischen Philosophie, namentlich der Sprechakttheorie in der Folge John Searles, an, dies freilich durchaus eklektizistisch. Er wurde, wenn man so will, selbst zum „Positivisten“, ohne dies indes offen zuzugeben. Sein „großer Wurf“, die „Theorie des kommunikativen Handelns“, ist in ihrem theoretisierenden Teil (und nur der ist überhaupt lesenswert) eher etwas epigonal, während die Anwendung auf die Soziologie, die den gesamten zweiten Band dieses Schinkens ausmacht, ziemlich langweilig ist. Viele der besonders griffigen und zum Geburtstag in allerlei Variationen in den Medien wiederholten Formulierungen Habermas‘ sind häufig nicht sehr neu und nicht unbedingt originell: Die „Kolonisierung der Lebenswelt“ ist schon bei McLuhan zu finden, der „herrschaftsfreie Diskurs“ folgt dem Gleichheitspostulat schon der Aufklärung (und findet sich, anders formuliert, auch in Adolph Knigges „Über den Umgang mit Menschen“), sein Öffentlichkeits-Begriff ist ein eingeschränkter, und die Lücken in seinem grundlegenden Buch „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ sind offensichtlich.

Seine Ausführungen zur Diskursethik finde ich bis heute ganz interessant, allerdings leiden sie unter dem von anderer Seite so verklärten wie verkitschten Diskursbegriff, den auch Habermas nicht recht heilen kann. Sein Aufsatz zum Wahrheitsbegriff ist ebenfalls lesenswert, wenn Habermas auch den mathematisch-logischen Feinheiten der Diskussion in der analytischen Philosophie offensichtlich nicht so richtig folgen mochte.

Seine tagespolitischen Auseinandersetzungen mit Neo-Konservativen, mit Revisionisten, mit Systemtheoretikern und vielen anderen sind am Ende vielleicht die Substanz, die bleibt. Dafür sei ihm zu danken.


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