Mein Austritt aus KriKoWi

Gerade eben bin ich aus dem KriKoWi-Netzwerk ausgetreten. Es versteht sich als Netzwerk „Kritischer Kommunikationswissenschaftler:innen“. Vorausgegangen sind dem mehrere Aufforderungen, Gaza-Unterstützungs-Aufrufe zu unterzeichnen. Es wurde auch moniert, dass sich die International Communication Association (ICA) nicht öffentlich pro-palästinensisch äußere (was in meinen Augen nicht stimmt). Ich habe dazu, kritisch, Stellung bezogen. Was dann an Mail-Antworten einging, überschritt das Maß dessen, was ich an Israel-bezogenem Antisemitismus und an persönlicher Diffamierung und Beleidigung auszuhalten bereit bin. Allerdings ist hier meine Grenze auch äußerst niedrig angesetzt. Ich möchte noch kurz dankend diejenigen erwähnen, die mir auf meine erste Stellungnahme hin per privater E-Mail ihre volle Zustimmung ausgesprochen haben — sie wussten schon, warum sie das nicht auf dem Weg über die öffentliche Mailingliste getan haben.

Ich dokumentiere hier meine Austrittserklärung:

Guten Tag!
(ich bin selbst in der Frage der Anrede hier nun nicht mehr sicher)

Bitte machen Sie sich alle nicht weiter unnötig Sorgen: Um Ruhe und Frieden in dieser Mailingliste wiederherzustellen, werde ich umgehend aus diesem Netzwerk austreten. Wenn ich das nun richtig verstehe, sollen hier nur oder hauptsächlich Meinungen veröffentlicht werden, die als „repräsentativ für das KriKoWi-Netzwerk verstanden werden“ können. Das ist nun offensichtlich, wie man mir attestiert, bei mir nicht der Fall. Im Gegenteil, soll es „zynisch“ sein, eine Mail mit „Lieber xy“ zu beginnen? Und „zynisch“ soll es sein, sie mit „Shalom“ zu beenden, was „Frieden“ bedeutet? Nein, es ist richtig, hier gehöre ich nicht her.

Und dann war ich auch noch als Referent zu einem Kongress an die Helmut-Schmidt-Universität eingeladen zu einer Tagung über Cybersicherheit und Fake News, was zufällig meine aktuellen Forschungsthemen sind? Und das sollte jemand, der sich Antifaschist nennt, auf keinen Fall tun? Die Universität der Bundeswehr unterhält übrigens auch einen allseits anerkannten Journalismusstudiengang, deren Forschende und Lehrende bislang als ehrenwerte und anerkannte Leute in DGPuK-Zusammenhängen galten. Werden auch die aus dem KriKoWi-Netzwerk künftig unter Faschismusverdacht gesetzt?

Bei diesem Kongress sprach, ja in der Tat, eine Ausbilderin und Wissenschaftlerin in Diensten der Israel Defense Forces (IDF). Wie alle anderen Referent:innen dieses Kongresses wurde auch ich mit hundert oder mehr (!)Mails überschüttet, alle in identischem Wortlaut, in denen ich gefragt wurde, wie ich es mit meinem Gewissen vereinbaren könne, auf einem Kongress als Redner aufzutreten, auf dem diese Frau auch eingeladen war. Ich habe jedem (!) dieser Mailenden geantwortet und meinen Standpunkt klar gemacht (den man auf meinem Blog nachlesen kann).  Kurz gesagt schrieb ich, solange man dieser Frau persönlich nichts vorwerfen könne, sähe ich nicht, was gegen meine Teilnahme spricht und erlaubte mir in der Tat in einigen der Antwortmails (die in meinem Fall nicht alle wortgleich waren) zu fragen, ob womöglich hinter diesem Boykott- und Cancel-Culture-Aufruf so etwas stecke wie: „Deutsche, sprecht nicht mit Juden!“ Auf diese Form massiver digitaler Gewalt und Nachstellung mir gegenüber (ich war in keiner Weise in die Organisation dieses Kongresses einbezogen) bezog sich übrigens der von mir genutzte Begriff „mailbombing“, wie es Alexandra K. ja auch offensichtlich dechiffriert hat. Sollte Christian St. den Eindruck haben, ich hätte den Begriff auf ihn gemünzt, entschuldige ich mich hiermit dafür. So war es nicht gemeint. Aber kann man das, was ich geantwortet habe, wirklich als „elitäres Sprachmobbing“ bezeichnen? War nicht vielmehr ich der „Gemobbte“? Bilde sich jede:r selbst sein und ihr Urteil.

Und nur noch kurz ein paar Worte zur Mail von Franz P.: „Der krieg begann nicht mit dem 7.10, denn dieser ist die folge jahrzehntelanger brutaler, vor allem täglicher unterdrückung der palästinenser.“ Für mich ist das ein Satz des Grauens, und ja und sorry, für mich ist das blanker linker (?) Antisemitismus. Denn er rechtfertigt geradewegs den Pogrom des 7. Oktobers, das Morden und Vergewaltigen von Menschen, denen kein anderer Vorwurf gemacht werden kann, als der, Juden zu sein. Des Mordens von Menschen, deren Fehler es war, zu nahe an einer Grenze zu tanzen oder in einem Kibbuz zu wohnen (übrigens keine jüdisch-orthodoxe, sondern eine sozialistische Wohn- und Lebensform). Israel hat sich im Jahr 2005 vollständig aus dem Gazastreifen zurückgezogen, die letzten Siedler wurden mit Waffengewalt von den IDF aus dem Gaza vertrieben. Seitdem sind jedes Jahr Milliarden Euro und Dollar unter anderem von der EU in den Gaza geflossen. Offensichtlich wurde dieses Geld nicht in die wirtschaftliche und zivile Entwicklung des Gaza gesteckt, sondern in das Bauen von Tunneln und Raketenabschussanlagen. Wo ist es denn sonst geblieben?

Grotesk ist, jemandem, der für das Existenz- und Selbstverteidigungsrecht Israels eintritt, zu unterstellen, er würde deswegen die Netanyahu-Regierung unterstützen oder den Siedlungsbau in der Westbank gutheißen. Aber das sind natürlich alles rhetorische Finten, um das eigene Weltbild ja nicht korrigieren zu müssen und „repräsentativ für das KriKoWi-Netzwerk“ zu bleiben. Es sei allen gegönnt. Möge wieder ideologische Ruhe in dieser Liste einkehren: Es scheint mir diese Ruhe zu sein, die auch belgische Konzertveranstalter sich so gerne wünschen. Dirigenten, Ausbilder:innen, Juden aller Art, sie mögen bitte draußen bleiben. Ich bleibe dann auch draußen: Das scheint mir gute Gesellschaft.

Tatsächlich habe ich versucht (und versuche es weiterhin), die Friedliebenden auf allen Seiten zu unterstützen, wo und wie ich es kann. Und zwar nicht durch Slacktivismus und das Copy&Paste-Verschicken von Massenmails an die Falschen. Deswegen haben mein Verein und ich vor zwei Jahren viel Geld organisiert und den beiden Organisationen „Women of the Sun“ und „Women Wage Peace“ gestiftet. Die beiden palästinensischen und israelischen Frauenfriedensorganisationen haben noch am 4. Oktober 2023, drei Tage vor dem Pogrom, einen Friedensmarsch durch Jerusalem organisiert. Die Gründerin von „Women of Wage Peace“, Vivian Silver, hat vom Kibbuz Be’eri immer wieder palästinenische Kinder aus dem Gazastreifen geholt und in israelische Krankenhäuser zur Behandlung gebracht. Am 7.Oktober wurde Vivian Silver von den Hamasfreiheitskämpfern in ihrem Kibbuz ermordet.

Man kann den Teufel mit dem Beelzebub austreiben, und man kann den Holocaust mit dem Genozid-Vorwurf austreiben. Deutsche historische Verantwortung scheint mir zu sein, hier die Worte in besonderer Weise zu wägen, um gerade nicht Täter-Opfer-Umkehr zu betreiben. Das unterscheidet deutsche Wissenschaftler:innen und Menschen in meinen Augen auch deutlich von „britischen und amerikanischen Kolleg:innen“.

Aber hier besteht zwischen uns einfach Dissens: Also bitte, nehmen Sie Ihre „Rolle als Wissenschaftler:innen ernst“, seien Sie alle „progressiv, solidarisch, kritisch und antifaschistisch“, und zwar from the river to the sea, bis zum endgültigen Untergang Israels.

Hochachtungsvoll,

Hektor Haarkötter


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